Auf der nach unten offenen Richterskala der Beziehungen zwischen den USA und Pakistan wurde Anfang der Woche durch den Nato-Angriff auf einen pakistanischen Militärposten, bei dem 24 pakistanische Soldaten ums Leben kamen, ein neuer Tiefpunkt erreicht. Das ist für sich genommen gefährlich genug.
Doch dass Pakistan nun die am 5. Dezember in Bonn stattfindende internationale Außenministerkonferenz zur Zukunft Afghanistans boykottieren will, muss alle Alarmglocken schellen lassen. Vor allem in Berlin, denn die Bundesregierung hat sehr viel Zeit und Arbeit in die Vorbereitung der Konferenz gesteckt. Dies droht nun umsonst gewesen zu sein, denn ohne eine Beteiligung des größten und wichtigsten Nachbarlandes ist eine friedliche Lösung für Afghanistan unmöglich.
Der tödliche Vorfall an der afghanisch-pakistanischen Grenze offenbart erneut den gefährlichsten Irrtum der US-Strategie gegenüber beiden Ländern. Entscheidende Kreise in Washington – und es ist unklar, ob Präsident Barack Obama dazu gehört – glauben immer noch, dass sie die Taliban an den Verhandlungstisch schießen können und dass sie Pakistan mit militärischem Druck zu einer Änderung seiner Position bringen können.
Dieses Kalkül ist in Bezug auf die Taliban naiv und in Bezug auf Pakistan lebensgefährlich. Denn Pakistan weiß in dieser Frage auch China und Russland hinter sich, die sich über nichts mehr freuen als den USA mit Nadelstichen Schmerzen zu bereiten und die an einer strategischen Präsenz der Amerikaner in Zentralasien wahrlich kein Interesse haben.
Es ist an der Zeit zu erkennen, dass Pakistan auch dann noch Afghanistans größter Nachbar sein wird, wenn der letzte ausländische Soldat aus Afghanistan abgezogen ist. Islamabad wird deshalb an seinen strategischen Partnern, zu denen auch das Haqqani-Netzwerk gehört, so lange festhalten, bis es den Eindruck hat, dass für Afghanistan eine Lösung erzielt werden kann, bei der seine Interessen ausreichend berücksichtigt sind.
Dies wollen die USA offenbar nicht wahrhaben, obwohl ihnen strategisch so gut wie keine Optionen mehr offen stehen. Was soll den Drohnen-Angriffen und der Attacke vom Wochenende folgen? Die USA sind finanziell - und man möchte hinzufügen intellektuell - nicht dazu in der Lage, Pakistan auf Kurs zu bringen. Militäraktionen, die über das bisherige Maß hinaus gehen, würden zu einer direkten Konfrontation mit der Armee führen, die die Regierung und das Volk hinter sich hat. Aber Krieg mit Pakistan ist keine Lösung und auch keine Option. Ebenso wenig wie absurde Gedankenspiele, wonach man Pakistan in einer Art Osama-Bin-Laden-Riffifi-Aktion von seinen Atomwaffen befreien könnte.
Sofern Berlin noch irgendeinen Einfluss auf den Partner in Washington hat, muss es diesen dazu bringen, Vernunft anzunehmen. Nur eine Entschuldigung bei Pakistan für den Tod der 24 Soldaten kann dieses dazu bewegen, an der Bonn-Konferenz teilzunehmen. Nur eine langfristige Strategieänderung der USA wird Frieden in der Region bringen.
Britta Petersen ist Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Lahore, Pakistan.